Die Geiseln aus Roubaix

Unter Missachtung der Haager Konvention nahm die deutsche Armee Geiseln aus der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete. Dies ist ein heute nur wenig bekanntes Vorgehen der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich und Belgien im 1.Weltkrieg. Diese Geiseln sollten für Ruhe und Ordnung innerhalb der Bevölkerung bürgen und hafteten für Sabotageakte, die sich gegen die Truppe richteten. In der Regel wählte man dafür angesehene Persönlichkeiten und Abgeordnete der jeweiligen Orte aus. Während die Geiseln am Beginn des Krieges noch vor Ort in Zitadellen oder Kasernen inhaftiert wurden, verbrachte man sie in den späteren Kriegsjahren in Lager nach Deutschland. Die Besatzer nutzten die Geiselnahmen auch, um die Gemeinden zur Zahlung von Kriegsbeiträgen oder horrenden Strafgeldern zu zwingen. Eigentlich wurden diese zivilen Gefangenen im Lager HOLZMINDEN und später in einem Lager in Litauen zusammen interniert. Entgegen diesem Verfahren scheinen also die führenden Köpfe der nordfranzösischen Textilindustriestadt ROUBAIX in der Baracke 9-Süd des Lagers in Güstrow untergebracht worden zu sein. ROUBAIX war am 14. Oktober 1914 von deutschen Truppen besetzt worden. In den folgenden Monaten empfanden die deutschen Besatzer die Kooperation der französischen Verwaltung und der örtlichen Unternehmer als unzureichend. So wurde der amtierende Bürgermeister Jean-Baptiste Lebas Mitte 1915 von der Militärverwaltung der Stadt verhaftet, da er sich weigerte, eine Liste aller 18-jährigen Einwohner herauszugeben, damit diese zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt werden konnten. Lebas wurde in der Festung RASTATT festgehalten, bis er im Januar 1916 aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen wurde. Auch in zahlreichen Fabriken weigerten sich die Arbeiter die Produktion für die Deutschen aufzunehmen. Es ging unter anderem um die Herstellung von Leinentaschen für deutsche Soldaten und Jutesäcken für den Schützengrabenausbau. Zeitweise wurden wiederständige Arbeiter vor Ort in einer Badeanstalt festgehalten. Anfang Juli erhöhten die Deutschen den Druck auf die Bevölkerung. Am 3. Juli 1915 müssen sich 132 ausgewählte Einwohner der Stadt an der deutschen Kommandantur einfinden. Sie durften 32 kg Gepäck mitnehmen. Unter ihnen war auch der von 1902 bis 1912 amtierende, ehemalige Bürgermeister der Stadt, Eugène Motte. Zudem sind fast alle Stadträte und großen Industiellen von ROUBAIX dabei, aber auch sechs katholische Priester und ein evangelischer Pfarrer. Desweiteren finden sich auf der Liste neben Juwelier und Bäckermeister auch einfache Berufe wie Gerber und kaufmännischer Angestellter. Die jüngste Geisel ist Louis Delepaul, er ist 23 Jahre alt. Der Älteste ist mit 76 Jahren der Fabrikant Auguste Bayart. Sie alle werden ins Gefangenenlager nach Güstrow gebracht. Auslöser für dieses Vorgehen war vermutlich die Weigerung der Stadt ROUBAIX 150.000 Franc Entlastungsbeihilfen an die Deutschen zu zahlen. Sie werden wie alle anderen Gefangenen in einer einfachen Baracke auf Strohmatratzen untergebracht. Aber man versorgt sie zumindest in der Kantine der Unteroffiziere und sie sind nicht auf die dürftige Versorgung der einfachen Gefangenen angewiesen.  Schon am 31. Juli können die Priester und der evangelische Pfarrer nach ROUBAIX zurückkehren. Die übrigen Geiseln sind am 9. August 1915 wieder in der Heimat. Es gibt zwei Versionen für dieses relativ schnelle Ende der Geiselhaft. Eine Version geht davon aus, dass ROUBAIX sich den Forderungen der Besatzer ergeben hat. Nach einer anderen Version hat die französische Regierung das deutsche Vorgehen international angeprangert und so die Rückkehr erzwungen. Die 132 Geiseln aus ROUBAIX scheinen alle zurückgekehrt zu sein.

  zeitgenössischer Zeitungsartikel



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