Texte und Quellen

britischer Zeitungsbericht vom September 1918

IN EINEM DEUTSCHEN GEFANGENENLAGER (IN A GERMAN PRISON CAMP)

VON EINEM NON. COM.  [Non-commissioned officer]

Ich schreibe diesen Brief, um über unsere Erfahrungen in den Jahren 1914-15 in Güstrow zu berichten und darüber, wie Ihre Pakete dazu beigetragen haben, dass ich nicht verhungerte. Alle Tatsachen, die ich sage, sind absolut wahr und nicht im geringsten übertrieben. Am Morgen des 31. Oktober 1914 gefangen genommen, wurden wir durchsucht und von allem beraubt was wir hatten: Geld, Zigaretten und unsere Mäntel. Das Einzige was sie mir gelassen haben war ein Foto meiner Mutter und mein Soldbuch. Wir marschierten ungefähr 18 Kilometer nach Lille. Als wir an den Linien der Hunnen vorbeikamen, schlugen sie uns mit Stöcken und Peitschen, warfen Gläser und Steine ​​nach uns und wollten uns nicht mal einen Schluck Wasser geben. Als wir in Lille ankamen, wurden wir in einen Güterwagen gebracht - 67 Männer, einige verwundet, wie Sardinen in einem Laster verpackt, mit drei oder vier Zoll Mist auf dem Boden und allen Belüftungsöffnungen vernagelt. Wir blieben vier Tage und Nächte in dieser Notlage. Wir bekamen einen Becher Wasser, einen Becher sogenannten Kaffee und zwei kleine Rationen Brot, auch eine grosse Schüssel Suppe wurde in den Wagen gebracht, aber nichts womit man sie hätte essen können. Da wir vor Hunger litten, mussten wir sie mit unseren Händen greifen; aber wir haben sie tapfer festgehalten, und um unsere Gedanken zu betäuben, haben wir uns heiser gesungen. Angekommen in Güstrow, wurden wir erneut durchsucht, getreten und wurden mit jeder Art von Namen beschimpft. Sie gaben uns zwei Decken über das Gewicht eines normalen Handtuchs, eine Schüssel und einen Löffel und ein Handtuch von der Grösse eines Taschentuchs. Nachdem wir eine Schale mit sehr dünner Suppe bekommen hatten, wurden wir in unser Quartier gebracht, das aus einem Platz auf dem Boden bestand, der mit etwas Stroh bedeckt war. Hier blieben wir bei Regen, Hagel, Frost und Schnee, halb verhungert vor Hunger und Kälte und geplagt von Ungeziefer. Ein Hemd anzuziehen für drei Monate! Die Deutschen gaben Gefangenen anderer Nationalitäten Hosen, Hemden und Socken, aber den Briten nichts als harte Schläge und Tritte. Ich wurde zweimal für nichts von Wachposten geschlagen. Die Gefangenen hier starben zu Dutzenden, die medizinische Behandlung spottete jeder Beschreibung. Zu Essen hatten wir sehr wenig: drei Kilo faules Schwarzbrot für vier Tage und sehr wässrige Suppe zum Frühstück, zum Mittag und zum Tee. Wir mussten uns zum Essen in Formation aufstellen  und wurden bei jedem Wetter 1 1/2 bis 2 Stunden stehen gelassen für eine Suppe, die selbst die Hunde in England nicht essen würden. Dann kamen unsere Pakete aus England, was für ein herrlicher Tag. Meine ersten Pakete habe ich sehr schnell gegessen, da ich sehr hungrig war. Ich sah schrecklich aus, hatte zwei Monate lang keine Haare geschnitten oder mich rasiert und war verlaust, uns ging es allen gleich. Der Stolz der britischen Armee sah schrecklich aus, das versichere ich Ihnen. Dann eines nachts im Februar 1915 wurden ungefähr 1000 von uns zum Transport zusammengestellt, wieder in Güterwagen gesteckt und kamen am nächsten Tag in einem Lager namens Sunderzollhaus [Süderzollhaus] an. Dies war ein schreckliches Lager, das nicht richtig fertiggestellt war, keine Decken, kein Krankenhaus, keine Kantine. Hier erkrankte ich an Lungenentzündung und Gelbsucht und lag sechs Tage ohne medizinische Behandlung kurz vor dem Tod. Ein Deutsch-Däne, der meine Notlage sah und dachte ich würde vor Hunger sterben, brachte mir ein gutes Essen. Ich konnte es nicht anrühren, aber von meinen Kameraden wurde es eifrig verschlungen. Endlich kam der Arzt und befahl meine Verlegung ins Lazarett in Flensburg. Am nächsten Morgen wurde ich auf einer Trage befördert, in einen Wagen gesetzt und zum schneebedeckten Bahnhof gebracht (Entfernung neun Kilometer), in einen alten Schuppen gelegt und dort gelassen bis der Zug ankam. Meine Temperatur war sehr hoch, aber ich konnte nicht einmal  etwas Wasser trinken. Dann wurde ich in einen Gepäckwagen gesetzt, und als ich dort lag, schüttelte der Wachmann seine Faust und sagte:  "John Bull kaputt, ich wünschte ich hätte den Mut sie aus dem Wagen zu schubsen.!" Als ich im Krankenhaus Flensburg ankam, hatte ich das große Glück, einen englischsprachigen deutschen Arzt zu finden, der mich nach sechs Wochen wieder in Ordnung brachte. Dann fing ich an, Ihre Pakete zu erhalten, mit denen  und dem Krankenhausessen wurde ich schnell gesund. Ich war fünfzehn Monate im Krankenhaus als eine Art Anweisungs-Dolmetscher und Kantinenassistent. Die Behandlung hier war gut, da wir in Schleswig-Holstein waren. Dann wurde ich nach Hannoversands [Hahnöfersand] geschickt, einer Insel an der Elbe, und hier hatten wir große Probleme mit unseren Paketen. Was für ein Chaos -Tee, Kakao, Haferflocken und Tabak in einer Packung durcheinander, zweifellos von den Deutschen aus purem Trotz so zusammengepackt. Wir haben uns bei unserem niederländischen Vertreter beschwert und auch bei dem Deutschen Kriegsamt, damit unsere Pakete in unserem eigenen Lager überprüft werden sollten, und das wurde schließlich gewährt. Aber erst nachdem wir zehn Wochen ohne Pakete waren und ich wieder hungerte wie 1914. Dies war im Jahr 1917. Dann wurde ich nach Soltau verlegt, das meines Erachtens das schlimmste Gefangenenlager Deutschlands sein muss, und die alte Kultur in voller Ausprägung zeigte. Es war ein Lager für N.C.O. [Non-commissioned officer] , und obwohl es eine Vereinbarung zwischen Deutschland und England gab, dass wir keine Arbeiten erledigen mussten außer den notwendigen Tätigkeiten im Lager in dem man untergebracht war, brachten sie uns hinaus zur Arbeit: unkultiviertes Land umgraben. In diesem Lager haben sie unsere Seife zerschnitten, alle Kekse zerbrochen, jede Dose geöffnet, alle unsere Zigaretten zerrissen und nach verbotenen Gegenständen gesucht. Es ist also nicht verwunderlich wie froh ich war, nach Holland ausgetauscht zu werden. Sie können sehen, dass wir ohne das was die freundlichen Damen in England für uns getan haben, ich niemals überlebt hätte um diese Geschichte zu erzählen.

The Graphic, 21.09.1918