Texte und Quellen

Ein Besuch im Gefangenenlager zu Güstrow - Oktober 1914

Noch ist alles im Entstehen begriffen. Der Platz der zunächst interimistisch für die Gefangenen als Wohnstätte hergerichtet ist, mutet von weitem wie eine Zeltstadt eines großen Volksfestes an. Tritt man dem Gefangenenlager näher, (ich hatte mit gütiger Bereitwilligkeit der Kommandantur des Gefangenenlagers eine Erlaubniskarte zu Betreten des Platzes erhalten), so ist man erstaunt über die geradezu mustergültige, ordnungsmäßige Einteilung , die für die Unterbringung der Gefangenen vorgesehen ist. Nachdem meine Erlaubniskarte am Haupteingang mit kritischen Blicken von einem der Wachhabenden Landstürmer geprüft worden ist, betrete ich einen großen Vorplatz, auf dem sich verschiedene Dienstgebäude der Verwaltung, sowie das Wachlokal und eine Kantine befinden. Nachdem ich von hier aus von einem Feldwebel die Begleitung eines Unteroffiziers erhielt und wir ein nochmaliges durch Posten bewachtes Tor passiert hatten, gelangte ich mit meinem Begleiter , der mir in entgegenkommender Weise alle nötigen Erklärungen gab, auf den eigentlichen Gefangenenplatz.
Dieser große Platz mit den vielen Fremden Menschen in den bunten Uniformen bietet ein eigenartiges Bild. Am auffallendsten sind natürlich die Franzosen. Wahrhaftig leuchtend hellrote Hosen und ebensolche Mützen. Wie ist es möglich, daß eine Nation, die sich auf jedem Gebiete von jeher als die fortgeschrittenste betrachtete, ihre Krieger im 20.Jahrhundert mit solch leuchtenden, bunten Uniformen in den Krieg ziehen lassen konnte. Dasselbe gilt für die Zuaven in ihren weiten Pluderhosen und die Turkos, die himmelblaue Jacken tragen. Die meisten stehen plaudernd in kleinen Gruppen beieinander; denn vorläufig gibt es noch nicht genügend Beschäftigung für sie; andere liegen oder kauern vor ihren Zelten und denken zurück an ihr Frankreich, vielleicht an Weib und Kind. Vielen von ihnen sind erst jetzt die Augen geöffnet worden über den Verrat der an ihnen von der englischen, wie von der eigenen Regierung verübt wurde.
Eben kommt ein Trupp Russen an uns vorbei. Sie tragen grünlich-graue Blusen, eine gleichfarbige Mütze und einen dicken, schweren Mantel von gleicher Farbe, den sie nie abnehmen; weder beim Essen, noch beim Schlafen, oder etwa beim Waschen; wenn man es wagen will die dreiste Behauptung aufzustellen, daß sich die Russen waschen. Natürlich sind auch intelligente Menschen unter ihnen, aber im Allgemeinen machen sie alle einen stumpfsinnigen, schmutzigen Eindruck.
Unsere Schritte weiter lenkend, kommen wir zu den Engländern. Ihre Uniform hat auch eine grünliche Farbe, sitzt aber bedeutend besser als die der Russen oder Franzosen. Mäntel haben sie keine. Ihr Gesichtsausdruck hingegen hat etwas direkt widerwärtiges, freches an sich. Auch ihr Benehmen, dass sie zur Schau tragen, macht einen solchen Eindruck. Hier kann man so recht den Unterschied zwischen unseren Kriegern , die echte Vaterlandsverteidiger sind und den Söldlingen der englischen Krämer beobachten. Durchweg machen diese englischen Gefangenen den Eindruck auf mich, als ob man den Auswurf menschlicher Gesellschaft vor sich hätte, nicht Krieger, nein Söldner, nicht ehrliche Vaterlandsverteidiger sondern Räubergesindel.
Doch zurück zu den Einrichtungen des Gefangenenlagers. An jedem Zelt ist durch Zahlen angegeben, mit wieviel Mann es belegt werden darf und in welchem Zelt ein Dolmetscher wohnt. Zwei Küchen sind auf dem Platz eingerichtet, in denen für die Wachmannschaften wie auch für die Gefangenen die warmen Mahlzeiten bereitet werden. Auch eine Kantine ist vorhanden, in der sich die Gefangenen für Geld Schokolade, Tabak, Zigarren und Briefpapier kaufen können. So ist jeder Weise für ein menschenwürdiges Unterkommen gesorgt. Ebenso ist ein Lazarett für Leichtverwundete vorhanden und die Behandlung geschieht durch Militärärzte unter Assistenz gefangener Lazarettgehilfen. Die schwer Verwundeten und Kranken werden im Garnisonslazarett untergebracht. Jeder neue Gefangenentransport wird erst einer Untersuchung und Säuberung unterzogen, bevor die Gefangenen mit den bereits Internierten in Kontakt kommen dürfen. So ist auch in sanitärer Beziehung auf das Beste Sorge getragen. Dies ist nun aber erst das provisorische Lager, das eigentliche Winterlager, in dem alles der Jahreszeit entsprechend besser eingerichtet sein wird, ist noch im Entstehen begriffen. Dort werden große gemeinschaftliche Speise und Arbeitsräume errichtet werden; kurz unsere Gefangenen können dereinst , wenn sie in ihre Heimat zurückkehren dürfen, erzählen, dass ihnen in Deutschland eine menschenwürdige Behandlung zuteil geworden ist. Natürlich müssen sie sich in allen Dingen mit militärischem Gehorsam den Anordnungen der sie Bewachenden fügen und nur der geringste Versuch einer Flucht würde mit der schwersten Strafe, vielleicht sogar mit dem Tode enden. Auch gegen einen gemeinschaftlichen Ausbruchsversuch sind Vorkehrungen getroffen. Auf einem das ganze Lager beherrschenden Wall stehen vier Feldgeschütze und drei erbaute Türme sind mit Maschinengewehren armiert.
Unser Rundgang neigte sich dem Ende zu, es begann zu dunkeln und im nächsten Augenblick erstrahlte das ganze Lager von elektrischer Beleuchtung, die von einer eigens angelegten Anlage erzeugt wird.
Überall in unserem großen Vaterlande sind die Gefangenenlager so vortrefflich eingerichtet, überall wo sich im Deutschen Reiche Gefangene befinden, sind solch mustergültige Einrichtungen erbaut worden. Hoffen wir, das es unseren Kriegern, die in dem großen Ringen da draußen in Gefangenschaft geraten, eine gleiche Behandlung zu teil werde.
Darum dämmen wir unsere Neugierde und zeigen keine Schaulust an Menschen, die von ihren Regierungen betrogen wurden und die zum mindesten der Schuld an diesem furchtbaren Kriege teilhaftig sind. Auch wir habe Väter, Söhne und Brüder im Felde, versetzt euch in ihre Lage, wenn sie als Gefangene von Neugierigen belästigt werden und zieht ein Gleichnis.
C. M.

Goldberger Zeitung, Mittwoch , 21.Oktober 1914 / Quelle: Stadtarchiv Güstrow